U. Hofmann: Das protestantische Milieu in Basel 1920 bis 1970

Cover
Titel
Innenansichten eines Niedergangs. Das protestantische Milieu in Basel 1920 bis 1970


Autor(en)
Hofmann, Urs
Erschienen
Baden 2013: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
317 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andrea Franc

Die gesellschaftlichen Umwälzungen der 1960er Jahre gingen mit massiven Kirchenaustrittswellen einher. Der Kanton Basel-Stadt nahm dabei im Schweizer Vergleich eine Vorreiterrolle ein. Dafür sucht Urs Hofmann eine Erklärung, indem er nicht nur die 1960er Jahre, sondern auch die Jahrzehnte davor, seit dem Ersten Weltkrieg, untersucht. Er begeht dabei nicht den Fehler, die Austrittswelle aus dem Kontext von 1968 zu reissen und die protestantische Kirche dafür verantwortlich zu machen. Vielmehr gelingt ihm eine sorgfältige und bedachte Analyse des Diskurses des Basler protestantischen Milieus zwischen 1920 und 1970. Als Quellen dienen Hofmann mehrere Kirchenzeitschriften, Zeitungsartikel und Vereinsprotokolle. Zudem unternimmt er eine profunde Milieuanalyse und macht sogenannte Milieumanager und deren Vernetzung aus. Aufgrund dieser Texte und Daten erkennt der Autor zwei Diskurse, die über den gesamten Untersuchungszeitraum parallel verliefen. Einerseits war sich das protestantische Milieu einer Krise bewusst und entwickelte eine eigentliche Krisenmentalität. Andererseits versuchte sich die Kirche neu in der Gesellschaft zu positionieren. Die Debatte um eine Neupositionierung veranschaulicht Hofmann anhand ausgesuchter Themen, darunter die Berufung der Nachfolge des Basler Theologieprofessors Karl Barth sowie die Haltung zur Atom-Initiative von 1962. Hofmann betont die Heterogenität der Basler Protestanten und zeigt auf, wie die Krise der Kirche auch zu einer Transparenz dieser Heterogenität gegen aussen führte. Am Beispiel der Haltung gegenüber der Atom-Initiative, gegenüber Radio und Fernsehen sowie gegenüber den Fabriken wird sehr schön sichtbar, wie sich die spätere Umwelt- und Konsumkritik-Bewegung der 1970er Jahre in kirchlich-protestantischen Kreisen langsam herausbildete. Diese sollte zum Tragpfeiler einer kleineren, aber erneuerten protestantischen Kirche in Basel werden. Die Bedeutung der Basler Mission speziell für die Basler Kirche und die Rolle der aus der Mission hervorgegangenen Dritt-Welt-Bewegung in der Neupositionierung der Basler Protestanten wird allerdings nicht besprochen.

Hofmann kommt zum Schluss, dass die Entkirchlichung des vormals protestantischen Basler Bürgertums auch tatsächlich mit einer Säkularisierung einhergegangen ist. Er widerspricht damit Autorinnen wie Grace Davie, die ein «believing without belonging» beobachtete. Die Einordung dieser Studie in die internationale religionswissenschaftliche Forschung – insbesondere der Vergleich mit den USA, aber auch mit skandinavischen Ländern – war weder intendiert noch nötig, hätte aber interessiert. Im schweizergeschichtlichen Vergleich wird eine Gegenüberstellung des Basler und des Zürcher protestantischen Milieus einmal kurz angetönt. Es kommt der Zürcher Gegenspieler von Karl Barth, Emil Brunner, zu Wort, der 1960 auf der Frontseite der Neuen Zürcher Zeitung die Debatte um die Barth-Nachfolge eröffnete. Brunner war in den ordoliberalen Zürcher Kreisen um die NZZ und die Schweizer Monatshefte verankert. Er brachte es fertig, die Besetzung des Lehrstuhls an der theologischen Fakultät in Basel als politische Weichenstellung für oder gegen den Kommunismus darzustellen. Brunner und Gleichgesinnte waren insofern erfolgreich, als sie die Berufung des bekannten Barth-Schülers Helmut Gollwitzer verhindern konnten, indem sie ihm Nähe zum Kommunismus vorwarfen. Eine gesellschaftspolitische Neuorientierung der Basler Protestanten fand in den 1960er Jahren trotzdem statt, wie der Autor feststellt.

Interessierten Laien, von denen es im Basler Bürgertum nicht wenige geben dürfte, ist insbesondere das dritte Kapitel über die innerkirchlichen Diskussionen im Kontext des Kalten Krieges empfohlen. Es ist schade, dass der hier und jetzt Verlag die Lektüre dieser überlegt gestalteten Arbeit mit einem nicht nachvollziehbaren Layout erschwert hat.

Zitierweise:
Andrea Franc: Rezension zu: Urs Hofmann: Innenansichten eines Niedergangs. Das protestantische Milieu in Basel 1920 bis 1970. Baden, hier + jetzt, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 159-160.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 159-160.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit